Sonntag, 12. Juli 2015

[Buchgedanken] Anna Maria Sigmund - Die Frauen der Nazis

"Wow, you're obsessed with Nazi-history", erklärte neulich ein Freund, als ich ihm meine aktuelle Lektüreliste vorstellte. Naja, als besessen würde ich mich nicht bezeichnen, aber ja, wenn man allein die Abteilung Biografien und Sachbücher über Geschichte durchschaut, fällt eine Tendenz auf. Ist es Faszination am Bösen? Ist es Interesse der Historikerin? Ist es die Tatsache, dass die NS-Geschichte in Deutschland in der Sach- und der belletrstischen Literatur gleichermaßen aufgearbeitet wird wie kaum eine andere Zeit? Vielleicht alles ein bisschen, deshalb habe ich meine Ende Juni einsetzende Leseunlust auch kurzerhand bekämpft mit einer weiteren Biografiensammlung, die sich diesmal den Frauen hinter der Führungselite widmet.

Anna Maria Sigmund stellt insgesamt acht verschiedene Frauen vor, darunter natürlich Eva Braun, Magda Goebbels und die beiden Ehefrauen Görings, aber auch die Regisseurin Leni Riefenstahl oder Hitlers Nichte Geli Raubahl findet hier ihren Platz. Zusätzlich gibt es ein kurzes Vorwort, in dem Sigmund zunächst das allgemeine Frauenbild des Nationalsozialismus und seine auch vorhandenen Grenzen darstellt. Interessant ist, dass eigentlich nahezu alle Frauen, die hier beschrieben werden - selbst Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink - diesem Bild so gar nicht entsprechen wollen. Es sind durchaus beruflich erfolgreiche Frauen, alle haben einen Beruf gelernt oder sind zumindest finanziell so weit abgesichert, dass sie die Ehe nicht als alleinige Versorgung anstreben müssten. Nicht alle sind politisch tatsächlich interessiert oder involviert, Henriette von Schirach ist so unglaublich naiv, dass man fast geneigt ist, ihr ihre späteren Schriften nicht übel zu nehmen, sondern sie ob ihrer Verblendung zu bedauern. Sie alle jedoch lassen sich ein auf ein Spiel an der Macht, suchen die Nähe zur Politik und erhalten Vorteile über Vorteile - von entzückenden Wertgegenständen aus "freiwilligen Spenden" von Museen hin zum Bohnenkaffee in Kriegszeiten. Keine von ihnen kann sich herausreden mit "ich war immer distanziert", und dennoch bleibt das Buch oftmals sehr oberflächlich in der Frage danach, wie viel die betreffende Ehefrau tatsächlich wusste. Ziel von Sigmund war es auch weniger, die Frage nach Schuld und Verantwortung zu beantworten, sondern vor allem den Kontrast deutlich zu machen zwischen gelebtem und gefordertem Frausein im Nationalsozialismus.

Die für mich immer noch faszinierendeste Gestalt ist dabei Magda Goebbels, die ihr 150%-Überzeugung beim Nazitum genauso auslebte wie in ihren früheren Leben Begeisterung für den Buddhismus und den Zionismus. Ausgerechnet die Frau, die ihre Kinder umbringt, weil sie nicht in einer Welt ohne Nationalsozialismus leben sollen, hätte - wäre sie nicht Goebbels über den Weg gelaufen - durchaus als Untergrundkämpferin in einem Kibbuz landen können. Grade bei ihr hätte ich mir noch eine viel längere Biografie gewünscht, wobei das bei einer Kurzsammlung einfach auch nicht machbar ist.

Im Bereich Biografien finde ich das Buch durchaus für einen Einstieg empfehlenswert. Sigmund zitiert Primärquellen, sie schreibt sehr klar und verständlich. Und wer sich für die Rolle der Frauen hinter der Führungselite interessiert, ist hier sicher nicht verkehrt.

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